Mediziner - die Unternehmer von Morgen?
Oder können Ärzte von der Wirtschaft lernen?

Irgendwann während des Studiums gelangt jeder Medizinstudent an den Punkt, an dem er sich fragt, wohin die Reise eigentlich geht. "Soll es vielleicht die klassische Akademikerkarriere am Uniklinikum sein, mit dem Fernziel einer Habilitation und der damit einhergehenden Forschung und Lehre? Wäre eine Facharztausbildung an einem kleinen, überschaubaren, unifernen Krankenhaus und später evtl. die Übernahme der väterlichen Praxis nicht angenehmer? - Eine Residency im Ausland könnte schließlich auch in Erwägung gezogen werden, zumal "paradiesische" Zustände in fernen südostasiatischen, skandinavischen und westlichen Ländern verlockend erscheinen. Oder kommt nach dem Examen möglicherweise eine Karriere ohne den täglichen Patientenkontakt in Betracht? - Ganz abgesehen von Ministerposten, die der ein oder andere Mediziner vielleicht ergattern mag, dem gemeinen Candidatus Medicinae offenbart sich außerhalb der Klinik ein weites Feld in Bereichen wie etwa Consulting, Marketing, Medizin-IT, Medizinjournalismus und, nicht zuletzt, der Pharmaindustrie. Wie die Entscheidung auch ausfallen mag, es besteht kein Zweifel daran, dass die meisten Mediziner davon profitieren würden, ein gewisses Verständnis für Unternehmensführung, Prozessoptimierung und ökonomisches Denken in ihren zukünftigen Beruf mitzubringen. Laut unseres ehemaligen Gesundheitsministers Rösler kann denn auch eine Medizin, in der am Ende nicht Ärzte, sondern Betriebswirtschaftler das Sagen haben, nicht im Interesse der Patienten sein. Nimmt man das Heidelberger Medizinstudium einmal genauer unter die Lupe, so findet man die Vermittlung solcher wirtschaftlicher Kenntnisse allenfalls marginal im Modul Gesundheitsökonomik des propädeutischen Blocks. Ein Wissen über wesentliche wirtschaftliche Zusammenhänge kann hieraus jedoch nicht resultieren. - Was das Studium nicht hergibt, muss daher wohl anderweitig gesucht werden, dachte sich beispielsweise auch Christina Shen. Christina ist Medizinstudentin im 11. Semester an der Uni Heidelberg und verbringt derzeit ihr erstes Tertial des praktischen Jahres in Straßburg. Sie ist eine von wenigen Heidelberger Medizinstudenten, die es gewagt haben, neben dem zeitaufwändigen HEICUMED-Curriculum ein wirtschaftlich orientiertes Zweitstudium aufzunehmen.

    Christina, was waren deine Beweggründe für ein Zweitstudium?
    Da Wirtschaft sowohl im Alltagsleben als auch im Erkennen von gesellschaftlichen Zusammenhängen eine unglaublich wichtige Rolle spielt, habe ich mir zunächst gedacht, mit diesem Studium etwas für meine Allgemeinbildung zu tun. Darüber hinaus gibt es inzwischen attraktive Möglichkeiten für Mediziner, in die Wirtschaft einzusteigen. Da ich mir gut vorstellen kann, später auch in diesem Bereich tätig zu sein, möchte ich mich durch das Studium etwas darauf vorbereiten.
    Wo absolvierst du dein Zweitstudium?
    Ich studiere Wirtschaftswissenschaften an der Fernuniversität Hagen.
    Mit welchen Kosten ist dieses Studium verbunden?
    Es gibt keine Studiengebühren. Da es sich aber um ein Fernstudium handelt, werden Skripte und Übungsblätter per Post an mich versandt. Diese muss ich dann bezahlen. Je nachdem, wie viele Kurse ich pro Semester belege, belaufen sich die Kosten auf 200-400 Euro.
    Das Medizinstudium nimmt ohne Zweifel schon viel Zeit in Anspruch. Wie lässt sich dies mit einem Zweitstudium vereinbaren?
    Das Zweitstudium ist generell gut mit dem Medizinstudium zu vereinbaren, zumal der Lernaufwand nicht allzu groß ist. Da die Klausuren in den Semesterferien stattfinden, habe ich während der Ferien Zeit, mich dafür vorzubereiten. Außerdem studiere ich Wirtschaftswissenschaften in erster Linie aus Interesse und nicht mit großen Ambitionen (wie im Medizinstudium), gute Noten zu verfolgen. Somit ist das Lesen von Skripten in der Freizeit gut machbar und auch nicht allzu anstrengend. Sich wirtschaftliche Kenntnisse über ein Zweitstudium anzueignen ist nur eine Option. Weitere interessante Möglichkeiten, einen Einblick in die Wirtschaft und insbesondere im Bereich Entrepreneurship zu erhalten, bietet das universitäre Gründungsmanagement. Ansprechpartner ist Dr. Kai Blanck. Er ist u.a. der lokale Koordinator des EXIST-PRIME-Cup, einem nationalen Planspielprojekt für Studenten aller Fachrichtungen, das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert wird (www.exist-primecup. de). Ziel dieses Wettbewerbs ist es, praxisnah wirtschaftliche Fertigkeiten zu vermitteln. Darüber hinaus veranstaltet das universitäre Gründungsmanagement zahlreiche Seminare zum Thema Existenzgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Ein zentraler Schwerpunkt dieser Abteilung stellt die Gründungsberatung dar. Als Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit können hierbei Unternehmen wie etwa die Dosing GmbH mit ihrem Arzneimittelinformationssystem AiDKlinik® oder das junge Startup Semesterbooks. de, das eine Internetplattform für studentischen Bücherhandel anbietet, genannt werden. Wer, wenn nicht wir Mediziner, wüsste besser, dass Theorie ohne Praxis eigentlich nahezu nutzlos ist. Man denke nur an die ALSAlgorithmen, die zwar im Notfallpraktikum trainiert werden, Jahre später im Ernstfall jedoch nicht ohne weiteres abrufbar sind. Learning by doing lautet daher die Devise. Zu dieser Erkenntnis kam auch Marius Schulz-Schönhagen. Er ist ein Heidelberger Medizinstudent im 10. Semester und gleichzeitig der Geschäftsführer von Schuelerhelfen.de, einem Unternehmen, das Nachhilfe für Schüler in Baden-Württemberg anbietet.
    Marius, du hast gemeinsam mit Christoph Brand nach dem Abitur das Unternehmen Schuelerhelfen.de gegründet. Was hat euch damals dazu bewogen, euch selbstständig zu machen?
    Christoph und ich waren während unserer Schulzeit als Nachhilfelehrer tätig. Dabei erkannten wir den Wunsch vieler Schüler, unkompliziert von ihren älteren Mitschülern Nachhilfe zu erhalten. Es gestaltete sich allerdings schwierig den passenden Nachhilfelehrer zu finden. Wir sahen mit der Gründung unserer Agentur die Möglichkeit dieses Problem zu lösen. Für uns bot sich die Chance, auf diese Weise unser Studium zu finanzieren, ohne uns von festen Arbeitszeiten oder den Vorgaben Dritter abhängig zu machen. Außerdem konnten wir Einiges über Unternehmensgründung und die Arbeit als Selbstständige lernen.
    Woher hattet ihr das nötige Wissen für die Existenzgründung? Gab es Probleme zu bewältigen, mit denen ihr nicht gerechnet hattet?
    Vor der Gründung ließen wir uns durch die IHK beraten und informierten uns auf www.existenzgruender. de, einer Plattform des BMWi. Zusätzlich holten wir anwaltlichen Rat ein. Probleme tauchten anfangs täglich auf - meist waren sie juristischer Natur. Insbesondere bei der Ausarbeitung des Vertragswerks waren wir auf Hilfe angewiesen.
    Warum hast du dich dafür entschieden, Medizin zu studieren? Wäre ein eher wirtschaftlich orientiertes Studium alternativ auch für dich in Frage gekommen?
    Das Medizinstudium faszinierte mich durch seine Vielseitigkeit und die Möglichkeit, meine naturwissenschaftliche Begeisterung mit meinem Interesse an Menschen zu kombinieren. Ein rein wirtschaftlich orientierter Studiengang stand für mich nie zur Debatte. Ich glaube aber, dass wirtschaftlichem Denken in der Medizin zukünftig ein viel größerer Stellenwert eingeräumt werden muss.
    Wie hast du es angestellt, Medizinstudium und Unternehmensleitung unter einen Hut zu bringen?
    Anfangs gestaltete es sich kompliziert, da die Gründung von Schülerhelfen. de zeitlich mit meinem Studienbeginn zusammenfiel. Der Aufbau eines Unternehmens erfordert besonders im ersten Jahr sehr viel Zeit und Kreativität. Ein großer Vorteil war, dass Christoph und ich die Aufgaben des jeweils anderen übernehmen konnten, wenn das Studium unsere volle Aufmerksamkeit erforderte.
    Worin siehst du deine Zukunft? In der Klinik? Als selbständiger Arzt in der eigenen Praxis? Oder möglicherweise in einem ganz anderen Bereich?
    Ein selbst bestimmtes Berufsleben ist mir sehr wichtig. Ich möchte eigenverantwortliche Entscheidungen treffen und die Chance haben, mir etwas aufzubauen. Derzeit sehe ich mich deshalb als zukünftiger niedergelassener Arzt. Meine endgültige Entscheidung ist aber von der Entwicklung des Gesundheitssystems in den nächsten Jahren abhängig. Ob in der eigenen Arztpraxis oder bei universitären Ausgründungen aus naturwissenschaftlichen Forschungszweigen, unternehmerisches Denken und wirtschaftliches Sachverständnis sind unabdingbar. Um dieses Denken in die Medizin und die naturwissenschaftliche Forschung transferieren zu können, macht es Sinn, einmal über den Tellerrand hinauszuschauen und anhand positiver Beispiele aus der freien Wirtschaft zu lernen. Heidoskop hat daher den 24-jährigen Entrepreneur Tim Marvin Marbach von kaufDA.de interviewt. KaufDA.de stellt mit unzähligen Klicks pro Tag eine sehr beliebte Internetplattform dar, auf der User die günstigsten Angebote der Geschäfte ihrer Umgebung über digitale Prospekte vergleichen können.
    Zwei der der vier Mitglieder des ursprünglichen kaufDA-Gründungsteams haben BWL an der WHU in Koblenz, einer der renommiertesten Hochschulen für Betriebswirtschaft und Management in Deutschland studiert. Woher habt ihr darüber hinaus euer Gründungswissen bzw. eure unternehmerischen Fertigkeiten bezogen und welche Netzwerke waren euch dabei hilfreich?
    Wir haben schon während des Studiums aktiven Austausch mit Unternehmern gesucht, wozu ich nur ermuntern kann. Von anderen zu lernen ist sehr hilfreich. Ansonsten gibt es kein spezifisches "Gründungswissen". Die meisten "Möchtegern- Unternehmer" scheitern genau daran: Sie denken "Wenn ich nur einmal eine gute Idee habe..." oder "Wenn ich nur wüsste, wie..." Das Entscheidende ist, wirklich den Schritt zu wagen und bereit zu sein, ein Risiko einzugehen. Ideen und Kapital gibt es genug.
    Was würdest du in diesem Zusammenhang Naturwissenschaftlern bzw. Medizinern raten, die während ihres Studiums keine lei betriebswirtschaftliche Aspekte gelehrt bekommen?
    Die zwei wichtigsten Antriebskräfte eines Unternehmers sind zum einen der Wunsch und der Wille, die Welt zu verändern, etwas aufzubauen, zu gestalten. Und auf der anderen Seite der absolute Wille, Geld damit zu verdienen. Wenn einem letzteres fehlt, ist man wohl in der Forschung besser aufgehoben. Wenn man aber selbst kein "Commercial Animal" ist, dann kann man BWL-Knowhow anstellen. Das ist zum Großteil Common Sense. BWL-Grundlagen helfen aber natürlich jedem Unternehmer: Zwei Semester reichen da schon.
    Was sind deines Erachtens die wichtigsten Eigenschaft en, die erfolgreiche Gründer mitbringen müssen?
    Den absoluten Willen zum Erfolg, eine gehörige Portion Selbstbewusstsein und die Bereitschaf,t Risiko einzugehen. Das heißt konkret: Verdammt viel harte Arbeit, wobei einem 99% aller Menschen die ganze Zeit erzählen, welchen Unsinn man eigentlich gerade treibt und man doch lieber bei einem richtigen Unternehmen arbeiten sollte.
    Deutschland gehört im europäischen Vergleich eher zum Mittelfeld, was Unternehmensgründungen anbelangt. Woran liegt das deiner Meinung nach und weshalb habt ihr euch mit kaufDA.de auf Deutschland beschränkt?
    Deutschland ist ein gleichmacherisches und staatsgläubiges Land, indem der Erfolg des Unternehmers meist als sehr dubios und zweifelhaft gesehen wird. Diese Leistungsfeindlichkeit zeigt sich nicht nur in Institutionen, hohen Steuern, sondern leider überall im öff entlichen Leben. Das trägt natürlich dazu bei, dass sich für viele der Traum, erfolgreicher Unternehmer zu werden erst gar nicht entwickelt. Persönlich werde ich meinen Aktionsradius auch nicht nur auf Deutschland beschränken.
    Welche Fehler können zu Beginn einer Unternehmensgründung vermieden werden?
    Der absolute Wille zum Erfolg ist das Entscheidende. Man muss sich bewusst sein, dass insbesondere die ersten Jahre einer Unternehmensgründung extrem hart sein können. Wer nicht bereit ist, das Risiko zu scheitern auf sich zu nehmen und für ein winziges Gehalt mehr zu arbeiten als alle anderen um sich herum, sollte es besser bleiben lassen. Wer aber diesen Willen hat, dem steht die Welt off en. Ideen gibt es genug. Kapital, das nach attraktiven Anlagen sucht, noch mehr.
    Weshalb hast du das Abenteuer der Unternehmensgründung einer "sicheren" Anstellung beispielsweise als Investmentbanker vorgezogen und wo siehst du dich in zehn Jahren?
    Ein Unternehmen zu gründen, ist genau das: Ein riesiges Abenteuer! Es ist ein fantastisches Gefühl zu sehen, wie das eigene Projekt wächst und gedeiht. kaufDA wird daher auch nicht mein letztes Abenteuer gewesen sein, auf das ich mich begebe.
    Was waren die größten Stolpersteine während eurer Gründungsphase?
    Wir hatten als WHUler selbst keinen Schimmer von IT und wollten eine Technologie-Firma aufb auen. Dafür mussten wir erst einmal entsprechendes Knowhow fi nden, was uns mit unseren Partnern hervorragend gelungen ist Wirtschaft und Medizin - passt das zusammen? Ausufernde Kosten im Gesundheitssystem, die stetig zunehmende Verzahnung der Medizin mit anderen Fachgebieten und daraus neu entstehende Arbeitsfelder machen es erforderlich, über diese Frage nachzudenken. Wohin die Reise letzten Endes gehen soll, wird dadurch sicherlich nicht beantwortet. Im Gegenteil: Es ergeben sich hieraus völlig neue Möglichkeiten für die Zukunft eines jeden Medizinstudenten. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten für die umfangreichen Ausführungen und Einblicke in ihre wirtschaft lichen und unternehmerischen Tätigkeiten.
    Katharina Dorsch