Ich bin Mama. Ja, und ich bin auch Medizinstudentin und was machst Du so?

    Hier und da sieht man die eine oder andere Mutter mit ihrem Kind über den Campus laufen, während man selbst gerade zur Bibliothek hetzt, um nicht den Abgabetermin für die ausgeliehenen Bücher zu verpassen. Wie schaffen die das bloß? Eine schier unüberwindbare Herausforderung oder doch nur alles eine Frage der Organisation.?! ".denn ein Viertel aller Akademikerinnen bleibt in Deutschland kinderlos. Das Studium ist die beste Zeit ein Kind zu bekommen!", und mit diesen Worten entlässt Professor Bartram seine Studierenden aus seiner Vorlesung zur Pränataldiagnostik. Julia ist auch unter diesen Studierenden, doch für sie ist noch kein Feierabend. Nein, für sie heißt es jetzt: schnell zur KiTa und Felix abholen, dann einkaufen gehen, dann zum Elterntreff. Irgendwann kommt sie - nach einem langen Tag - müde nach Hause, und wenn ihr Freund den Kleinen zu Bett bringt, hat sie ein bisschen Zeit noch für die Klausur am nächsten Tag zu lernen. Julias Alltag kennen studentische Eltern, und zwar nicht nur in der Medizin, all zu gut. Ihr Tagesablauf ist gut organisiert und durchgeplant, damit sie beides- Familie und Studium- unter einen Hut kriegen. Der Anteil an Studierenden mit Kind in allen Fachbereichen liegt seit Jahren relativ konstant zwischen 6% und 7% [1]. In der Medizin ist jedoch der Anteil an Studierenden mit Kind mit 4% deutlich geringer[2]. Verwunderlich ist dieser Wert nicht, denn das Medizinstudium bietet schon allein aufgrund des Lernumfanges, ganz zu schweigen von der straffen Organisation, der strengen Anwesenheitspflicht und der komplexen Prüfungsordnung, nicht die besten Rahmenbedingungen für die Familiengründung. Auch im späteren Berufsleben bleibt da nicht immer viel Platz für eine Familie.
    Rush-Hour und der Trend zum "Parallelisierungmodell"
    Dieser Begriff stammt aus der Soziologie und bezeichnet die Lebensphase vom Abschluss der Berufsausbildung bis zur Lebensmitte, einschließlich der Phase der Familiengründung. In der Medizin ist diese Zeitspanne besonders kurz, bedingt durch die lange und umfangreiche Aus- und Weiterbildung von Ärzten. Auf der anderen Seite wird ersichtlich, dass dieses sequenzielle Modell der Lebensplanung, nämlich alles hintereinander zu machen, nicht mehr ganz mit den heutigen Ausbildungssystemen und beruflichen Anforderungen Schritt halten kann. Deshalb müssen immer mehr Berufseinstieg oder -Aufstieg und Familiengründung parallel erfolgen [2]. Auch in Hinblick auf den bestehenden Ärztemangel einerseits und dem hohen Frauenanteil sowohl im Medizinstudium als auch in der Ärzteschaft andererseits, ist es dringend erforderlich, bereits in der medizinischen Ausbildung die nötigen Rahmenbedingungen für Familienfreundlichkeit und Vereinbarkeit von Studium und Kind zu schaffen [2]. Auch im Koalitionsvertrag der regierenden Parteien wird der dringende Handlungsbedarf in der Nachwuchsförderung im Gesundheits- und Pflegebereich bestätigt[3].
    Leben und studieren in Baden-Württemberg
    Die Studie "Familienfreundliches Studium in der Medizin in Baden- Württemberg", ausgehend von der Universität Ulm und dem Universitätsklinikum Ulm, soll die Lebens- und Studiensituation studierender Eltern der Humanmedizin in Baden-Württemberg erfassen und folglich Ansatzpunkte sowie nötige Veränderungen für ein familienfreundliches Medizinstudium aufzeigen[2]. An der Studie nahmen die Medizinischen Fakultäten aus Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Tübingen und Ulm teil, insgesamt 10.876 Studierende der Medizin. Der Anteil Medizin studierender Eltern beläuft sich auf 3,5%, in Heidelberg liegt ihr Anteil bei 3,1% [2]. Die Studierenden mit Kind sind im Durchschnitt 29,6 Jahre alt und kommen aus allen Fachsemestern, wobei das Mittel etwa das 9. Fachsemester ist. Zwei Drittel der Studierenden mit Kind sind verheiratet, etwa ein Fünftel leben in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, und immerhin sind fast 10% alleinerziehend. Etwa 42% sind neben dem Studium erwerbstätig, wobei die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt bei 10,7h/ Woche liegt [2]. Das Durchschnittsalter der Kinder ist 4,8 Jahre, jedoch sind 57% der Kinder unter drei Jahre alt. 63% der studierenden Eltern geben an, sich bewusst für ein Kind entschieden zu haben. Einen idealen Zeitpunkt zur Familiengründung gibt es nicht, jedoch bietet sich gerade der klinische Studienabschnitt dazu an. Dementsprechend werden auch 62% der Kinder, die während des Studiums geboren werden, während des klinischen Abschnitts geboren [2].
    Familienfreundlichkeit an den Universitäten
    Die befragten Studierenden in Baden-Württemberg bewerteten die Familienfreundlichkeit an den untersuchten Universitäten mit dem Schulnotenmittelwert 3,4. Etwa 60% geben dabei an, Probleme mit der Vereinbarkeit von Studium und Familie im vergangenen Semester gehabt zu haben. Als häufigste Probleme wurden viele Pflichtkurse, Veranstaltungen am Nachmittag sowie viele Prüfungen in kurzem Zeitraum genannt. Im vorklinischen Abschnitt traten derartige Probleme sehr viel häufiger auf als im klinischen Abschnitt [2]. In Bezug auf die Studienzeit gaben fast 64% der studierenden Eltern an, bereits zum regulären Studienverlauf verzögert zu sein und nur 36% lagen in der Regelstudienzeit. Dabei waren und sind Frauen sehr viel häufiger von einer Studiumsverzögerung betroffen als Männer. Meist handelt es sich um eine Verzögerung von einem bis zwei Semestern[2].
    Wünsche der Eltern: Lösungen für das Problem der Vereinbarkeit?
    Studentische Eltern sind darauf angewiesen, eine Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder sicherzustellen, um regelmäßig und erfolgreich am Unterricht teilnehmen zu können. Eine frühzeitige und verlässliche Planung der Kinderbetreuung setzt daher voraus, dass die Eltern auch rechtzeitig über die Kurszeiten informiert werden. Dementsprechend forderten die befragten Studierenden Änderungen hier vorzunehmen, um die Vereinbarkeitsproblematik angesichts der Zeit- und Betreuungsplanung zu lösen[2].
    Ich weiß Bescheid?!
    Schon immer ist es so gewesen: Wer etwas wissen will, muss lange suchen, viel fragen und hartnäckig sein - das Studium stellt hier keine Ausnahme dar. Doch nicht immer gestaltet sich der Zugang zu Information und Beratung einfach, denn 45,5% der befragten Studierenden mit Kind hatten Probleme bei der Suche nach Information zu Studium und Kind. Desweiteren bestehe Beratungsbedarf in Themen wie der Curriculumsplanung und der Studienfinanzierung sowie der Wunsch nach Auskunft über die Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder der Möglichkeit eines Teilzeitstudiums. Rund 75% der Studierenden mit Kind haben keine Beratung zur Studienorganisation durch das Studiendekanat erhalten. Als häufigster Grund dafür (etwa 55%) wurde genannt, dass ein solches Angebot des Studiendekanats nicht bekannt gewesen sei. [2] Auch hier zeigt sich ein guter Ansatzpunkt, um das Medizinstudium familienfreundlicher gestalten zu können. Mögliche Angebote sind zum Beispiel eine individuelle Studienberatung zur Curriculumsplanung mit Kind oder ein semesterübergreifendes Mentorenprogramm (studentische Ansprechenpartner für studierende Eltern) [2]. An der Universität Ulm wurde außerdem das Studienverlaufsmonitoring eingeführt, bei dem durch die Studienfachberatung zusammen mit den studierenden Eltern versucht wird, den individuellen Bedürfnissen der Studienorganisation entgegenzukommen [3]. Eine weitere Hilfe für die Eltern könnte der sogenannte Elternpass darstellen, der ihnen den Zugang zu Vergünstigungen und Sonderleistungen erleichtern könne [2].
    Standort Heidelberg und Familienfreundlichkeit im Medizinstudium
    Auch in Heidelberg werden viele Angebote seitens der Fakultät sowie des Studentenwerks für die jungen Eltern gestellt. Aber auch die lokale Familienpolitik in Heidelberg bemüht sich um die Vereinbarkeit von Studium beziehungsweise Beruf und Familie: Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels spielt Familienfreundlichkeit als weicher Standortfaktor eine herausragende Rolle. "Familienfreundlichkeit", so Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner, "hat für mich oberste Priorität. [.] Es geht darum, hoch qualifiziertes Fachpersonal zu holen und zu halten und ein Umfeld zu bieten, in dem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie [.] optimal möglich sind." Die Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren liegt bei 35,8% - dies sei der beste Wert in Baden-Württemberg [4]. Das Studentenwerk Heidelberg bietet mit seinen Kinderhäusern eine gute Betreuung der Kinder studierender Eltern an. Je nach Einrichtung werden unterschiedliche pädagogische Konzepte verfolgt. Auch die ganz kleinen zwischen sechs Monaten und drei Jahren finden in den Krippen und Krabbelstuben einen Platz, vorausgesetzt sie bekommen einen. Denn insgesamt gibt es etwa 154 Plätze, die allen Studierenden mit Kind der Universität Heidelberg zur Verfügung stehen [5]. Die Anzahl der Plätze reicht bei weitem nicht für die Betreuung der Kinder studierender Eltern aus, denn schon allein die Medizinische Fakultät verzeichnet 77 studierende Eltern [6]. Darüber hinaus können die studierenden Eltern ihre Kinder auch in städtischen Einrichtungen unterbringen oder eine Tagesmutter mit der Betreuung des Kindes beauft ragen. Ein kleiner Teil nutzt zudem auch die Möglichkeit der privaten Kinderbetreuung. Eine weitere Hilfeleistung des Studentenwerks sind die Wickeltische in den Toiletten der Zentralmensa im Neuenheimer Feld, der Triplex- Mensa und des zeughauses - sowohl in den Frauen- als auch in den Männertoiletten [7]. Seit dem Wintersemester 2009/2010 gibt es an den Mensen der Universität Heidelberg die Aktion "Mensa for kids". Damit können Kinder bis zu 10 Jahren in Begleitung eines Elternteils kostenlos essen. Der Antrag für diese Aktion muss beim Studentenwerk gestellt werden [8]. Erwähnenswert ist auch der Elterntreff "Club Parentes", ein Projekt der Arbeitsgruppe "Vereinbarkeit von Studium und Familie" des Bündnis für Familie Heidelberg, in dem die Universität Heidelberg Mitglied ist. Durch dieses Projekt soll die Bildung eines Netzwerks zwischen studierenden Eltern an der Universität Heidelberg gefördert werden. Der Elterntreff fi ndet einmal monatlich während des gesamten Jahres - auch während der vorlesungsfreien Zeit - statt, und zwar an jedem ersten Mittwoch [9]. Man könnte hier noch viele weitere Beispiele aufgreifen, um die Bemühungen um die studentischen Eltern seitens der Universität und der lokalen Politik herauszustellen. Doch hilft alles nichts, wenn die verschiedenen Akteure nicht miteinander kommunizieren. Deshalb ist es von herausragender Bedeutung, einen guten und regelmäßigen Kontakt zu Studierenden mit Kind, vor allem was die Studienfachberatung betrifft , aufrechtzuerhalten und aus Befragungen die Schwachstellen in der Familienorientierung aufzudecken und gezielt Lösungsansätze dazu zu entwerfen. Einer weiteren Studie zufolge "nutzen [die Hochschulen] ihre Möglichkeiten, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Studium zu ermöglichen, im Schnitt bislang nur zu einem Drittel. [.] Und selbst die besten Hochschulen erfüllen weniger als 60 Prozent der [.] abgefragten Indikatoren für Familienorientierung."[10] Positiv ist in jeder Hinsicht, dass der Handlungsbedarf erkannt und aktiv in Modelle zur Studienunterstützung von Studierenden mit Kind umgesetzt worden ist. Das weiß Julia auch, denn gerade sieht sie die aktuelle Mitteilung auf der Seite der Universität Heidelberg: "Audit Familie und Beruf an der Universität Heidelberg -Und jeder kann was tun!"[11]. Als studierende Mutter hat sie schon aufgrund der eigenen Erfahrungen und Tiefpunkte, an die sie gelangt ist, eine diff erenziertere Vorstellung von einem familienfreundlichen Studium- und zwar nicht nur in der Medizin. Deshalb will sie mit ihren Vorschlägen zur Lösung der Vereinbarkeitsproblematik von Studium und Kind bei diesem Projekt tatkräft ig mitwirken! Und im Juni diesen Jahres wird die Universität Heidelberg mit dem Zertifi kat "Familiengerechte Hochschule" durch das Bundesfamilien- sowie das Bundeswirtschaft sministerium in Berlin ausgezeichnet werden.
    Stavia Zaroti